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Formel 1
12.10.2012

Technikfeature: Alles dreht sich um das Drehmoment

Vor jedem einzelnen Grand Prix stimmen die Ingenieure von Renault Sport F1 den RS27-V8 auf die jeweiligen Gegebenheiten und Anforderungen ab. Dabei ist die Drehmoment-Kennlinie, die so genannte „Torque Map“, der wichtigste Faktor überhaupt.

Denn sie ist gewissermaßen der Leitparameter eines Triebwerks, der es den Motorspezialisten erlaubt, den Achtzylinder vor jedem Rennen an die jeweiligen Wetter- und Streckenverhältnisse anzupassen. David Lamb, als Motoren-Ingenieur von Renault Sport F1 für das Williams F1 Team zuständig, erläutert die Details und die Unterschiede zur so genannten „Pedal Map“, die bereits beim Technikfeature zum Grand Prix von Japan im Fokus stand.

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„Im Grunde handelt es sich bei der Torque Map zunächst einmal um einen theoretischen Wert – eben um den Drehmomentverlauf des Motors. Anhand dieses Parameters kann man ablesen, welches Drehmoment ein Aggregat bei einer bestimmten Gaspedalstellung und einer gewissen Drehzahl produziert. Somit ähnelt die Torque Map auf den ersten Blick der Pedal Map, die wir ja bereits im vorangegangenen Technikfeature zum Grand Prix von Japan genauer beleuchtet haben. Der einzige Unterschied besteht scheinbar darin, dass bei der Drehmoment-Kennlinie die Stellung der Drosselklappe als Referenzwert dient, wohingegen bei der Pedal Map die Position des Gaspedals im Fokus steht. In Wirklichkeit sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Parametern jedoch deutlich komplexer und weitreichender für die Abstimmung des Motors.

Denn anhand der Drehmoment-Kennlinie wissen wir genau, wie viel Newtonmeter Drehmoment unser Motor bei einer bestimmten Geschwindigkeit und Gaspedalstellung produziert. Diesen theoretischen Wert nutzen wir dann bei der Abstimmung des RS27 als Referenz, um sicherzustellen, dass das Triebwerk auf der Strecke exakt die rechnerisch möglichen Vorgaben erfüllt. Dabei informiert uns ein Sensor im Fahrzeug zu jedem Zeitpunkt über den exakten Drehmomentverlauf. Jetzt kommt die vorausberechnete, eher ,theoretisch mögliche‘ Drehmoment-Kennlinie des Motors ins Spiel: Wir vergleichen den tatsächlichen mit dem berechneten, bestmöglichen Wert. Das Ziel ist es, dass die Unterschiede zwischen Theorie und Praxis möglichst gering ausfallen. Auf diese Weise können wir ein eventuell verzögertes Ansprechverhalten oder Abweichungen bei der Fahrbarkeit des Motors anhand der beiden übereinandergelegten Graphen genau erkennen.“

Die Torque Map variiert im Verlaufe eines Rennwochenendes oder zwi-schen einzelnen Grands Prix im Grunde kaum. „Eine neue Richtlinie im Reglement, die zwischen dem Großen Preis von Deutschland und dem GP von Ungarn ins Reglement aufgenommen wurde, sorgt dafür, dass die Teams die Kennlinien nur marginal anpassen können. Somit hat jedes Triebwerk während der Saison in gewisser Weise seinen spezifischen Fingerabdruck. Bei unseren vier Partnerteams, die alle auf den RS27 von Renault setzen, variiert dieser Parameter nur marginal. Diese geringen Abweichungen gehen darauf zurück, dass jedes Team seine spezifische Air Box und ein eigenständiges Auspuffsystem verwendet. Dadurch verändert sich auch die Drehmoment-Kennlinie des Achtzylinders – allerdings nur in sehr geringem Maße“, erörtert David Lamb.

„Bevor die neue Regeländerung in Kraft trat, durften wir die Torque Map zu jedem Grand Prix an die jeweiligen klimatischen Bedingungen anpassen. So produzieren die Motoren zum Beispiel in Sao Paulo fast zehn Prozent weniger Drehmoment als beim Grand Prix von Korea, der an diesem Wochenende auf dem Programm steht. Denn das Autodromo Jose Carlos Pace in Brasilien liegt deutlich höher als der Korean International Circuit.

Die Anpassung der Torque Map an die jeweils vorherrschenden Bedingungen hatte für den Fahrer den Vorteil, dass sich das Ansprechverhalten des Motors im Verlaufe der Saison nicht verändert. Aufgrund der Reglements-Modifikationen müssen wir jetzt jede Veränderung der Drehmoment-Kennlinie bei der FIA beantragen und die Gründe hierfür exakt rechtfertigen.“

Die Torque Map dient nicht nur dazu, das Maximum aus dem Motor herauszuholen. Sie ermöglicht es darüber hinaus, die Fahrbarkeit des Autos zu optimieren. „Geht der Fahrer zum Beispiel vom Gas, können wir den RS27 entweder so einstellen, dass er im Schiebebetrieb auf vier Zylindern weiterläuft oder die Zündung komplett abgestellt wird. Dies hängt davon ab, wie viel Schub sich der Pilot beim Bremsen und Runterschalten wünscht“, beschreibt David. „Wenn die Zündung beim Gaswegnehmen komplett gekappt wird, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass mehr Benzin in die Brennräume eingespritzt werden muss, sobald der Pilot wieder aufs Gas steigt, um den Motor wieder zu ,befeuchten‘. Die geringste Abweichung bei der Einspritzmenge kann dazu führen, dass der Drehmomentverlauf von der optimalen Kennlinie abweicht. Die Folge: ein verzögertes Ansprechverhalten und möglicher Zeitverlust. Der Normalfall ist jedoch, dass der Motor auf vier Zylindern weiterläuft. Denn diese Lösung hat keinen wesentlich höheren Benzinverbrauch zur Folge, bietet aber den Vorteil, dass die Hälfte der Zylinder dank einer geöffneten Drosselklappe weiter mit Kraftstoff versorgt wird. Demgegenüber müssen im anderen Fall erst alle acht Zylinder wieder langsam und mit nur schwach geöffneter Drosselklappe befeuert werden“, so Lamb.

Der Motoren-Ingenieur von Renault Sport F1geht noch weiter ins Detail: „Wenn jedoch plötzlich mehr Drehmoment gefordert ist, als der Motor mit nur vier Zylindern leisten kann, müssen natürlich auch die übrigen vier Zylinder wieder gezündet und mit Benzin versorgt werden. Gleichzeitig erfordert dies, dass die Stellung der Drosselklappe wieder zurückgenommen wird, da ja nun wieder alle acht Zylinder zur Verfügung stehen – diese Feinjustierung erfordert viel Know-how! Wenn alles nach Plan verläuft, bekommt der Fahrer von all dem überhaupt nichts mit – lediglich der Motorsound verändert sich. In jedem Fall ist diese Feinjustierung ein komplexes Zusammenspiel aus mehreren Parametern. Die Torque Map, also die Drehmoment-Kennlinie, spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn sie beeinflusst sowohl den Benzinverbrauch als auch die Stellung der Drosselklappe."

Darüber hinaus nutzen die Ingenieure die Torque Map auch bei einer Vielzahl weiterer Prozesse, etwa bei der Abstimmung des Begrenzers für die maximale Boxengeschwindigkeit, dem Drehzahlbegrenzer sowie der Anpassung der Motorcharakteristik beim Herunterschalten. „Die Drehmoment-Kennlinie ist für uns fraglos eines der wichtigsten Parameter, mit denen wir im Rahmen der Standard-Elektronik (SECU) den RS27-V8 an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen können. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Torque Map ist der Schlüssel für einen optimale Motorabstimmung. Sobald der Fahrer vom Gas geht, bestimmt die zuvor festgelegte Drehmoment-Kennlinie, wie weit sich die Drosselklappen schließen und wie sich der Motor im Schiebebetrieb verhält. Und sobald der Pilot wieder das Gaspedal be-tätigt, wird die Öffnung der Drosselklappen erneut von der Torque Map bestimmt. Im Grunde dreht sich bei der Motorabstimmung also alles um diesen so wichtigen Parameter.“
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