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DTM
30.06.2012

Interview mit Urvater des Norisrings Gernot Leistner

An diesem Wochenende startet die DTM bei ihrem fünften Saisonrennen auf dem Nürnberger Norisring – dem einzigen Stadtkurs im Kalender der populärsten internationalen Tourenwagenserie. Seit 65 Jahren ist Gernot Leistner vom Norisring „infiziert“, das Rennen in Nürnberg gehört zu seinem Leben „wie Weihnachten und Ostern“. Im Interview erzählt der langjährige Rennleiter des MCN (Motorsportclub Nürnberg), wie er sein erstes Rennen am Norisring im Ruhestand verbringen wird, und worauf er sich besonders freut.

Haben Sie überhaupt jemals ein Rennen am Norisring verpasst?
Bei einem einzigen konnte ich nicht dabei sein: 1960 hatte ich wenige Tage vor dem Start einen Motorradunfall und lag in einer Heidelberger Klinik. Allerdings wurde ich kurz vor dem Rennen nach Nürnberg verlegt, sodass mich meine Kollegen vom MCN immer über den aktuellen Verlauf informieren konnten. Davor und danach war ich immer live dabei.

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In dieser Zeit haben Sie bestimmt einige interessante Menschen getroffen?
Das kann man sagen! Ich erinnere mich zum Beispiel gerne an den englischen Rennfahrer David Prophet: Immer wenn er am Norisring war und mich sah, fing er an, um ein höheres Startgeld zu verhandeln. Und oft hat er von uns ein zusätzliches „Trinkgeld“ bekommen. Als ich dann einmal nach England eingeladen wurde, stellte sich heraus, dass er ein steinreicher Schlossbesitzer war und gerne mit dem Hubschrauber reiste.

Können Sie entspannt aus der nach Ihnen benannten Lounge die Rennen verfolgen, oder werden Sie das hektische Treiben als Verantwortlicher an der Rennstrecke vermissen?
Ich werde ganz sicher unsere MCN-Lounge mit mehr Ruhe aufsuchen können und Zeit haben, Freunde und Gäste zu begrüßen und mit ihnen ohne Stress zu reden. Aber sicher wird sich meine Anspannung bis zum Start des DTM-Rennens noch steigern. Nur die totale Konzentration, um im Ernstfall schnell reagieren zu können, ist natürlich nicht mehr da. Auch den Gewichtsverlust von 3 bis 4 Kilo an den drei Renntagen wird es bei mir sicher nicht mehr geben.

Juckt es Sie in den Fingern, der neuen Rennleitung mit Tipps zur Seite zu stehen?
Nein. Ich habe mit meinen Clubkameraden, die jetzt den MCN führen und das Norisringrennen dirigieren, schon Jahre lang zusammen gearbeitet. Jeder hat seinen Aufgabenbereich und weiß, was zu tun ist.

34 Rennen als 1. Vorsitzender und Organisationsleiter, 51 Veranstaltungen als Rennleiter, 60 Jahre Clubmitgliedschaft – verzichten Sie jetzt komplett auf Ihre Aktivitäten im Motorsport?
Ich bin nach wie vor ein sehr engagiertes MCN-Clubmitglied und als Ehrenvorsitzender auch bei allen Entscheidungen dabei. Durch meine Tätigkeiten bei der ADAC-Sportkommission und dem ADAC Nordbayern bin ich noch nahe am Motorsportgeschehen. Eigentlich muss ich auf nichts verzichten.

Worin unterscheidet sich der Norisring von anderen Rennstrecken?
Bei den meisten Kursen ist das wie mit den Top-Hotels: Die sehen nämlich fast überall gleich aus. Der Norisring ist im Gegensatz dazu eher ein gemütlicher Landgasthof mit einem hohen Wohlfühlfaktor. Zudem geht es auf unserem Stadtkurs spektakulär zu. Doch der größte Unterschied zu anderen Kursen zeigt sich schon viel früher: Auf „echten“ Rennstrecken steckt man am Donnerstag den Schlüssel in eine Tür und hat alles zur Verfügung, was man braucht. Hier in Nürnberg muss man erst einmal etwas hinstellen und aufbauen, um überhaupt einen Schlüssel verwenden zu können.

Was waren die aufregendsten Momente Ihrer Laufbahn?
Eigentlich war für mich jedes Norisringrennen ein Highlight. Ich habe auch viele junge Piloten kennengelernt, die später zu den Besten gehörten. Und sehr viele, mit denen man befreundet war, starben auf den Rennstrecken dieser Welt. Das hat mich immer sehr bewegt und daher freue ich mich, dass Fahrzeuge, Fahrerbekleidung und Strecken immer sicherer werden.
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