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FIA WEC
27.04.2021

Daten-Transfer in Millisekunden direkt aus dem Porsche 911 RSR

Das Werksteam von Porsche tritt am 1. Mai mit zwei 911 RSR beim Saisonauftakt der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC in Spa-Francorchamps an. Auf die erfolgreiche Mannschaft des Sportwagen-Herstellers aus Stuttgart warten in den belgischen Ardennen ganz besondere Bedingungen. Keine andere Strecke abseits von Le Mans ist derart lang (7,004 Kilometer), keine andere hat derart große Höhenunterschiede (insgesamt 100 Meter) und einen solch herausfordernden Mix aus Highspeed-Passagen und spektakulären Kurven mit extremer Querbeschleunigung.


Wenig Abtrieb oder viel Anpressdruck: nur marginale Unterschiede

„Die Besonderheiten der Strecke werfen in jedem Jahr zunächst einmal die gleiche Frage auf: Hoher Abtrieb oder weniger Anpressdruck? Bezüglich der Rundenzeit bleibt es sich eigentlich gleich“, beschreibt Alexander Stehlig, Einsatzleiter WEC. Der Porsche RSR, der in der GTE-Pro-Kategorie der FIA WEC antritt, bietet einige Stellschrauben zur Anpassung des Abtriebsniveaus. Der Heckflügel steht mehr oder weniger im Fahrtwind, durch eine Anpassung der Bodenfreiheit vorn und hinten wird der sogenannte Anstellwinkel des Fahrzeuges getrimmt. „Im Gegensatz zu den Prototypen-Fahrzeugen (LMP1) der vergangenen Jahre haben wir in der GTE-Pro-Klasse kein spezielles Aerokit für Le Mans – also beispielsweise kein eigenständiges Bodywork, um den Luftwiderstand zu senken“, sagt Stehlig.

Die LMP-Teams nutzten den WEC-Lauf in Belgien in den Vorjahren oftmals für Testläufe im Hinblick auf die 24 Stunden von Le Mans. Passt die Aerodynamikkonfiguration für das bevorstehende Jahreshighlight in Frankreich? Stimmen die Daten aus Simulation und Windkanal mit den realen Erkenntnissen auf der Strecke überein? Solche Fragen stellen sich in der GT-Abteilung nicht. „Wir fahren in Spa-Francorchamps immer mit viel Abtrieb, auch wenn eine Low-Drag-Konfiguration aufgrund der langen Geraden reizvoll erscheint. In Streckenpassagen wie Pouhon sind wir dadurch schneller, andernorts verlieren wir etwas Zeit. Das gleicht sich aus“, so Stehlig. Ein Setup für viel Anpressdruck macht es den Fahrern zudem in schnellen Kurven und im Bereich von Kuppen und Senken leichter. Auch die Nutzung der Michelin-Reifen wird optimiert.


Wer schon einmal im abgelegenen Gebirgsort telefonieren wollte…

In Spa-Francorchamps werden auf 7,004 Kilometern Rundenlänge rund 100 Höhenmeter absolviert. Die Strecke ist eingebettet in das hügelige Gelände der Ardennen. Um den Funkkontakt zum Piloten und den anhaltenden Datenfluss der Telemetrie jederzeit stabil zu halten, werden modernste Technologien eingesetzt. Die Sprechverbindung zwischen Kommandostand und Cockpit stellen digitale Funkstrecken des britischen Anbieters MRTC sicher.

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Die hohe Bandbreite der digitalen Übertragungstechnik stellt sicher, dass für alle Fahrzeuge sowie unter anderem auch für die Rennleitung ein exklusiver Kanal zur Verfügung steht. Die im Porsche 911 RSR verbaute notwendige Technik wiegt nur wenige hundert Gramm und befindet sich dort, wo im Straßenfahrzeug der Beifahrersitz ist. Die Fahrer tragen Ohrstöpsel mit integrierten Kopfhörern, im Helm ist ein Mikrofon verbaut. Die Teammitglieder am Kommandostand und in der Box kommunizieren zumeist über robuste Headsets mit ihren Vollgashelden im Cockpit.


Die Technik entscheidet selbstständig: Daten über Australien oder England?

Beim Datenaustausch zwischen Fahrzeug und Box greift Porsche auf eine flächendeckend vorhandene Mobilfunktechnik zurück. „Im Auto ist ein Sendemodul mit drei SIM-Karten verbaut“, erklärt Stehlig. „Das System überprüft in hoher Frequenz, welche 3G-, 4G-, oder nun bald auch 5G-Datenverbindung die stärkste ist. Es entscheidet selbstständig, über welchen Anbieter die Telemetriewerte auf die Reise geschickt werden.“ Die Datenpakete, die zur Beobachtung des Betriebszustandes des Porsche 911 RSR unerlässlich sind, gehen mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 115.000 Baud auf die große Reise. Beispielsweise von der Haarnadel La Source nahe der Ortschaft Francorchamps über Satellit nach Großbritannien oder Australien zum Rechenzentrum des Mobilfunkanbieters Vodafone, anschließend zurück durch den Orbit zum Boxenstand an der belgischen Strecke. Die Daten legen mehrere zehntausend Kilometer zurück, um am Rennschauplatz eine Distanz von manchmal nur wenigen Metern zwischen Asphaltband und Kommandostand zu überbrücken. „Trotz dieses eigentlich langen Weges der Daten sind alle Werte innerhalb von Millisekunden verfügbar“, schmunzelt Stehlig. „Das ist schon äußerst beeindruckend und funktioniert bemerkenswert stabil.“ Sogar für etwaige Netzausfälle ist Porsche Motorsport gerüstet.

„Für Notfälle, also für Situationen, in denen die Datenverbindungen über die drei stärksten Mobilfunknetze vor Ort womöglich aufgrund von Überlastungen nicht funktionieren, gibt es eine Backup-Lösung“, schildert Torsten Eichler, Systemingenieur am Porsche 911 RSR in der FIA WEC. „Wir haben für solche Fälle ein Empfangsmodul an der Box. Sollten die Daten also nicht auf dem normalen Wege versendet werden können, schickt das Auto die Pakete im Notfall direkt auf unseren Server vor Ort.“ Am Kommandostand stehen die Daten sofort allen Ingenieuren zur Verfügung. Die Verbindungen unter anderem zwischen Laptops der Techniker und dem Datenserver ist über einen VPN-Tunnel gesichert – Fremdzugriff unmöglich.


Auslesen der Telemetriedaten: Wenn der Fahrer gläsern wird

Die Datenpakete, die im Trainings- oder Rennbetrieb vom 911 RSR zu den Computersystemen am Kommandostand geschickt werden, umfassen in der Regel nur wenige Megabytes. Die Abtastraten der Sensoren für die Sofortübermittlung der Werte sind reduziert, es stehen jedoch jederzeit die wichtigsten Daten beispielsweise zu Reifendrücken, Öltemperaturen, Brems- und Gaspedalstellung sowie Lenkradeinschlag zur Verfügung. „Es ist ausreichend, um jederzeit den sicheren Betrieb der Autos zu gewährleisten und die wichtigsten taktischen Entscheidungen zu treffen“, erklärt Stehlig. „Für eine wirklich genaue Analyse des Setups oder der unterschiedlichen Linien von Fahrern reicht dies nicht. Die dafür notwendigen Daten bekommen wir nur, wenn wir sie per Laptop während oder nach einer Session am Fahrzeug auslesen. Wir sprechen da von rund zehn Megabyte an Daten pro gefahrener Runde“, sagt der erfahrene Ingenieur und fügt lächelnd an: „Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Pilot immer sicher vor unseren Hinweisen, wo er eventuell etwas besser machen könnte. Das ändert sich dann…“
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