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Automobilsport
24.08.2018

Dr. Frank Welsch: „Der Erfolg am Pikes Peak hat langfristige Bedeutung“

Mit der Rekordfahrt beim Pikes Peak International Hill Climb hat der Volkswagen I.D. R Pikes Peak am 24. Juni Geschichte geschrieben: In 7:57,148 Minuten absolvierte der erste rein elektrisch angetriebene Rennwagen aus Wolfsburg die 19,99 Kilometer lange Strecke. Doch der 500 kW (680 PS) starke I.D. R Pikes Peak ist viel mehr als nur ein Rekordhalter – er ist der sportliche Vorbote der I.D. Familie, den rein elektrisch angetriebenen Serienfahrzeugen von Volkswagen, die ab 2020 auf den Markt kommen.

Was das für die Zukunft bedeutet, welche Herausforderungen bei der Entwicklung des I.D. R Pikes Peak zu bewältigen waren und welche Strategie hinter der Teilnahme am Pikes Peak International Hill Climb steckt, darüber spricht Dr. Frank Welsch, Mitglied des Markenvorstands Volkswagen Pkw, Geschäftsbereich „Technische Entwicklung“, im Interview.
Herr Dr. Welsch, am Wochenende wird der I.D. R Pikes Peak beim berühmten Concours d’Elegance im US-amerikanischen Pebble Beach einer der Stars sein. Wie beurteilen Sie – mit einigen Wochen Abstand – die Rekordfahrt am Pikes Peak?
„Ich bin nach wie vor sehr stolz auf die fantastische Leistung des gesamten Volkswagen Motorsport Teams. Und es stimmt: Erst mit ein wenig Abstand wird das Ausmaß dieses Erfolges greifbar. Das Projekt war zeitlich sehr komprimiert, die ganze Entwicklung lief innerhalb von wenigen Monaten ab, das Rennen selbst dauerte keine acht Minuten – aber der Erfolg hat langfristige Bedeutung. Der erste Sieg eines Elektro-Rennwagens im Wettbewerb mit konventionellen Antrieben hat für mich eine bahnbrechende Dimension, ähnlich wie der Allrad-Antrieb im Rallyesport.”
Am Pikes Peak wurde nicht nur ein motorsportlicher Sieg und Rekord eingefahren. Wie ordnen Sie die Leistung in ihrer Gesamtbedeutung für Volkswagen ein?
„Volkswagen verfolgt eine klare E-Strategie und bringt ab 2020 unter dem Namen I.D. eine ganze Produktfamilie rein elektrischer Fahrzeuge auf den Markt. Der I.D. R Pikes Peak ist der sportliche Vorbote dieser neuen Fahrzeuggeneration und unterstreicht nicht nur unser klares Bekenntnis zur Elektro-Mobilität, sondern auch die enorme Leistungsfähigkeit, die der E-Antrieb in Zukunft bieten kann.”
Hatte die Entscheidung, mit dem neu entwickelten I.D. R Pikes Peak beim Pikes Peak International Hill Climb zu starten, auch strategische Gründe?
„Ja! Es ist das berühmteste Bergrennen der Welt. Der Name reiht sich nahtlos ein in die Riege vieler anderer legendärer Orte des Motorsports – etwa Le Mans, Monte Carlo oder Daytona. Diese Herausforderung, bei einem derart bekannten Rennen erstmals mit einem rein elektrischen Rennwagen zu starten, hat uns natürlich gereizt. Und auch die Tatsache, dass wir dort nur einen einzigen Versuch hatten. Es gibt keinen zweiten Lauf, keine Boxenstrategie, um zwischendurch irgendetwas anzupassen. Nein, alles musste auf den Punkt da sein – für Entwickler eine tolle Aufgabe.”
Stichwort „Entwickler“: Wie viel Freiraum ließ Ihnen das Reglement?
„Das war das Spannende und gleichzeitig das Spektakuläre: Pikes Peak bietet enorme Möglichkeiten, weil das Reglement kaum einschränkt. Besonders in der Klasse der Prototypen. Wir waren auf uns gestellt, unsere Ingenieure trafen auf ein großes weißes Blatt Papier. Konkret auf das Rennen bezogen hieß das: Was ist wichtig? Spielt möglichst wenig Gewicht eine zentrale Rolle? Und wie groß und wie schwer dürfen demnach die Akkus sein? Bei Letzterem galt es, einen idealen Kompromiss zwischen Reichweite und optimaler Leistung zu finden. Dazu kamen die aerodynamische Abstimmung und die große Höhe, in der das Rennen stattfand – alle diese Faktoren spielten zusammen und mussten berücksichtigt werden. Es war ein großes Experimentierfeld und Entwicklungslabor.”
E-Mobilität wird häufig „vorgeworfen“, wenig Emotionen zu transportieren. Kann ein Erfolg wie am Pikes Peak daran etwas ändern?
Der Motorsport dient seit jeher als Versuchslabor für künftige Technologien und weckt Emotionen und Begeisterung bei Fans und Akteuren gleichermaßen. Der I.D. R Pikes Peak ist das beste Beispiel: Sein außergewöhnliches Design, die zukunftsweisende Technik und seine enorme Performance lassen die Herzen vieler Fans höherschlagen. In der Autostadt habe ich das Rennen gemeinsam mit mehr als 500 Motorsport-Fans im Livestream verfolgt; das war Spannung und Emotion pur. Und das strahlt natürlich auf unsere künftige I.D. Familie ab.”
Was bedeutet das Projekt für die I.D. Familie im Hinblick auf den Technologietransfer?
„Grundsätzlich gibt es einen engen Wissensaustausch zwischen der Serienentwicklung und den Kollegen vom Motorsport. Ein paar konkrete Beispiele, bei der die Entwicklung des I.D. R Pikes Peak wichtige Erkenntnisse für die Serie gebracht hat, sind die Strategien und Auswirkungen beim Schnell-Ladevorgang der Batterien, die optimale Steuerung der Energierückgewinnung mittels Rekuperation oder die Herstellung ultraleichter Materialien im 3D-Druck-Verfahren, die teils extremer Belastung standhalten mussten.”
Wie lief der Wissensaustausch in der Praxis ab?
„Im Bereich der Hochvolt-Technologie konnten die Motorsport-Kollegen vom Know-how der Fachabteilungen für E-Mobilität in Wolfsburg und in Braunschweig profitieren – beispielsweise in der Konzeptionierung der Batteriemodule oder bei der Abschirmung hochempfindlicher Signalleitungen im mehrere Hundert Volt starken Hochspannungsumfeld des I.D. R Pikes Peak. Auf der anderen Seite gab es von den Kollegen aus Wolfsburg reges Interesse an dem Einsatz und der Haltbarkeit der ultraleichten Kohlefaser-Kevlar-Karosserie des Rennwagens.”
Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft des Motorsports mit Elektro-Antrieb aus?
„Für Volkswagen war das Rennen am Pikes Peak ein sehr erfolgreicher Einstieg in den Motorsport mit E-Antrieb, und wir haben noch viele Ideen für weitere Einsätze des I.D. R Pikes Peak. Darüber hinaus beobachten wir seit einiger Zeit die Möglichkeiten, die sich für elektrische Rennfahrzeuge bieten, wie zum Beispiel in der FIA Rallycross-Weltmeisterschaft, in der elektrisch angetriebene Rennwagen an den Start gehen sollen. Welche Herausforderungen Volkswagen hier als Nächstes annimmt, bleibt hoch spannend.”
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