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Automobilsport
03.11.2010

Hans-Joachim Stuck: „Ich will kein Lehrmeister sein“

Nach seiner unfallbedingten fünfwöchigen Zwangspause geht es der Motorsportlegende Hans-Joachim „Striezel“ Stuck (61) „so gut wie noch nie“. Im Interview spricht der Rennfahrer über die Veränderungen in 40 Jahren Motorsport, sein Engagement als Juror bei der Deutsche Post Speed Academy und die Erfüllung eines langgehegten Traumes.

Verdirbt früher Erfolg den Charakter?
Das kommt ganz drauf an, in welchem Umfeld man sich bewegt. Es gibt natürlich ganz unterschiedliche Reifegrade und es ist durchaus gefährlich, wenn man so früh im Leben eine große Aufmerksamkeit bekommt. Aber grundsätzlich sei gesagt, wenn man ihn vernünftig für sich nutzt, verdirbt Erfolg nicht den Charakter.

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Sie sprechen da aus eigener Erfahrung?
Mir hat der Erfolg nicht geschadet. Ich habe mir immer eine gewisse Bodenständigkeit, die ich von zuhause aus habe, bewahrt. Dazu gehörte auch, mich nie in Steueroasen niederzulassen, sondern immer in einem soliden Umfeld zu bleiben.

Wann haben Sie das erste Mal an einem richtigen Rennen teilgenommen?
Das war 1969. Da war ich achtzehn und fuhr das 300-Kilometer-Rennen auf der Nordschleife des Nürburgrings in einem Koepchen BMW 2002TI. Das waren Zeiten: kein Sicherheitsgurt, kein feuerfester Overall. Da ich heute auch zwei Rennen fahrende Kinder habe, kann ich jetzt erst richtig nachvollziehen, was mein Vater damals gefühlt haben muss.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten – was würde Sie aus heutiger Sicht anders machen?
Nichts. Obwohl ich sicherlich genug Mist verzapft habe. Aber es ist ja wichtig, dass eine sportliche Karriere Höhen und Tiefen hat. Man braucht diesen Lernprozess. Sebastian Vettel führt uns das gerade vor: Nach einer gewissen Phase der Orientierungslosigkeit ist er jetzt wieder stärker denn je.

Aber ihre Entscheidung, 1979 beim Formel 1-Team ATS zu bleiben, haben Sie doch lange bereut.
Ja, ich habe mich schwarz darüber geärgert, nicht zu Williams gewechselt zu sein. Schließlich war damit meine Formel 1 Karriere gelaufen. Doch das Schicksal hat es gut mit mir gemeint, denn es folgte dann meine siegreichste Zeit mit Porsche in der Langstreckenmeisterschaft. So hat alles wieder Sinn gemacht.

Warum engagieren Sie sich als Juror für die Deutsche Post Speed Academy?
Ganz einfach gesagt: Wenn ich nicht meinen Vater gehabt hätte, wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Viele Nachwuchsfahrer haben Talent, würden es aber ohne Unterstützung nicht nach oben schaffen. Deshalb ist Nachwuchsförderung im deutschen Motorsport essentiell. Die Deutsche Post Speed Academy und die ADAC Stiftung Sport sind im Motorsport die wichtigsten Förderkader in Deutschland. Sie nehmen ihren Job ernst und ziehen ihre Förderung vom Schulungsseminar bis zur finanziellen Unterstützung durch. Und mir macht es sehr viel Freude, den jungen Leuten zu helfen und sie vor Fehlern zu bewahren.

Wie sieht Ihr Engagement genau aus?
Als Juror bewerte ich die Studenten und ihre Entwicklungen und stehe den Buben mit Rat und Tat zur Seite. Deshalb bin ich auch bei vielen Rennen dabei. Dabei will ich nicht ihr Lehrmeister sein und mir geht es auch nicht nur darum, die Jungs siegen zu sehen. Vielmehr honoriere ich, wenn ein Fahrer zum Beispiel einen Entwicklungssprung macht.

Wie wichtig sind denn Ihrer Meinung nach die sozialen und gesellschaftlichen Fähigkeiten der Sportler?
Wie heißt es noch: „Was anständig daherkommt, verkauft sich auch besser.“ Heutzutage, wo es vermehrt um Sponsoren geht, wird es auch für junge Sportler immer wichtiger, dass sie sich auch auf dem öffentlichen Parkett bewegen können. Dazu gehört eine gute Rhetorik und eine gewisse Bildung. Die Kandidaten der Deutsche Post Speed Academy und der ADAC Stiftung Sport besuchen über das Jahr verteilt Workshops, in denen sie solche Kenntnisse vertiefen. Das Programm reicht von Mentaltraining über Englisch- und Golfkurse bis zum Benimmseminar.

Auf dem Programm der Speed Academy steht auch der Umgang mit der Presse und mit neuen Online-Medien. Wie gingen Rennfahrer früher mit den Medien um und was müssen die Piloten heute leisten?
Das Sportlerdasein ist viel transparenter geworden. Nicht nur durch die allgegenwärtigen Fernseh- und Fotokameras, auch durch Kommunikationsplattformen wie Twitter und Facebook. Der Sportler muss sich in jeder Lebenslage im Griff haben. Sich abends die Hucke volllaufen zu lassen ist tabu. Genauso, wie die Beherrschung zu verlieren, wenn ein Rennen mal nicht gut gelaufen ist oder ein Konkurrent einen ins Auto gefahren ist.

Wo lauern heute die größten Gefahren im Umgang mit der Presse im Vergleich zu früher?
Früher war es schick, in der Gala oder Bunten abgelichtet zu sein. Heutzutage ist es als ernstzunehmender Sportler verpönt, wie Lothar Matthäus Boulevard-Schlagzeilen zu machen. Weibergeschichten sind da ein nicht unwichtiger Punkt: Früher hat man von einem Rennfahrer keinen soliden Lebenswandel erwartet. Heutzutage ist es nicht mehr witzig, bei jedem Rennen mit einem anderen Mädchen aufzutauchen. Und dann muss man sich auch noch genau überlegen, mit welcher Frau man vor die Presse tritt: Mit einer Michelle Hunziger hätte man gewonnen, eine Dita von Teese wäre eher ein Fehltritt.

Die Speed Academy Jungs mussten in diesem Jahr eine Etappe der Tour de France fahren. Dabei gingen sie an ihre körperlichen Grenzen. Muss ein Motorsportler so etwas heute können?
Heutzutage ist es immer schwieriger, sich einen Vorteil zu erfahren. Alles muss stimmen, damit man einen Sieg einfährt. Die Fitness ist ein wahnsinnig wichtiger Baustein. Auch, weil Kondition und Konzentration voneinander abhängen.

Was haben Sie zu Beginn Ihrer Karriere für Ihre Fitness getan?
1972 fing mein damaliger Rennleiter Jochen Neerpasch schon an, mich und meine Teamkollegen bei Ford mit dem Eisschnellläufer Günther Traub trainieren zu lassen. Schnell merkte ich, wie gut mir das tut. Seitdem ist Sport ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ich behaupte: Eine gute Fitness hilft jedem in jeder Lebenslage.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Wohin wird sich der Motorsport entwickeln?
Das hat sich mein Vater schon gefragt. Momentan ist es aber recht klar, in welche Richtung es geht. Natürlich müssen wir auch den Motorsport den Bedürfnissen der Umwelt anpassen und in Zukunft auf Elektroantrieb setzen. Unklar ist jedoch noch, wie wir dann den Sound auf die Strecke bringen.

Haben Sie noch Träume?
Ein langgehegter Traum von mir wird bald in Erfüllung gehen: Ich werde mit meinen Söhnen Ferdinand und Johannes, die ja beide im Motorsport aktiv sind, beim 24-Stunden-Rennen als Team Stuck-Stuck-Stuck an den Start gehen. Das ist ja wohl ein Meilenstein in der Geschichte des Langstreckenpokals.
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