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Formel 1
19.09.2012

Renault Sport F1 Vorschau auf den Singapur Grand Prix

Nach den zwei Highspeed-Rennen in Spa und Monza weist der bevorstehende Große Preis von Singapur eine völlig andere Charakteristik auf. Auf Motorenseite verlangt der Marina Bay Circuit weniger nach Spitzenleistung, sondern nach einer optimalen Fahrbarkeit bei niedrigeren Drehzahlen und gutem Ansprechverhalten. Der 5,073 Kilometer lange Stadtkurs weist 23 Kurven auf – abgesehen von Valencia mehr als jede andere Stecke im Kalender.

Der Kurs führt auf öffentlichen Straßen zwischen den Bürotürmen, Luxushotels und Verwaltungsgebäuden hindurch. Entsprechend niedrig ist die Durchschnittsgeschwindigkeit: Die Autos fahren im Schnitt gerade mal 170 km/h. Die höchste Geschwindigkeit von 305 km/h erreichen die Boliden in diesem Kurvenlabyrinth zwischen den Kurven fünf und sieben – jeweils mit Einsatz des Energierückgewinnungssystems KERS und mit dem flach gestellten Drag Reduction System (DRS). Der Vollgasanteil pro Runde beträgt nur 50 Prozent, das sind nur zwei Drittel des Vollgas-Wertes auf der „Powerstrecke“ Monza.

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Der Große Preis von Singapur im Überblick

22 der 23 Kurven werden im ersten, zweiten oder dritten Gang gefahren. Der Motor arbeitet deshalb für einen Großteil der Runde bei Drehzahlen zwischen 8.000 und (am Kurvenausgang) 13.000 Touren. Die Ingenieure von Renault Sport F1 stimmen die Motormappings folgerichtig auf eine gute Fahrbarkeit bei geringen Geschwindigkeiten und Drehzahlen ab. Gleichzeitig sind eine akkurate Gasannahme und Stabilität wichtige Erfolgsfaktoren. Um optimalen Grip beim Beschleunigen zu finden ist außerdem die Übersetzung der unteren Gänge von entscheidender Bedeutung.

Nur an zwei Stellen erhalten die V8-Motoren reichlich Fahrtwind zum Durchatmen: auf der Startgeraden und auf der leicht gebogenen Gegengeraden zwischen den Turns fünf und sieben. Den siebten Gang legen die Fahrer in Singapur pro Runde nur drei Mal ein – lediglich in Monaco wird die schnellste Fahrstufe noch seltener genutzt.

Der Stop-and-Go-Charakter der Strecke mit der pausenlosen Abfolge von Bremsen und Beschleunigen treibt den Kraftstoffverbrauch in die Höhe. Der Verbrauch pro Kilometer liegt im Vergleich zum vorigen Lauf in Monza extrem hoch. Die Berechnung der optimalen Spritmenge am Start ist eine der zentralen Aufgaben der Motoren-Ingenieure. Umso mehr da mögliche Zwischenfälle wie Safety Car-Phasen oder Regenschauer mit einkalkuliert werden müssen.

Der Große Preis von Singapur startet um 20 Uhr Ortszeit. Üblicherweise fallen die Temperaturen nachts um fünf bis sechs Grad. Weil der Marina Bay Circuit aber mitten durch die Hochhausschluchten verläuft, wird kaum Hitze abgestrahlt, die Bebauung speichert sogar noch Wärme. Folglich wird die Lufttemperatur während des Rennens kaum unter den Tageswerten von rund 30 Grad Celsius liegen. Deshalb wird auch die Wirkung der Kühlsysteme genauestens beobachtet. Denn außer der relativ warmen Umgebungsluft erschweren auch die niedrigen Geschwindigkeiten und der oft geringe Abstand zu einem vorausfahrenden Auto die Motorkühlung.

Wie bei Grands Prix in Äquatornähe üblich spielt auch in Singapur die extrem hohe Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent eine Rolle. Wenn in der Luft mehr Wasser enthalten ist, kann sie logischerweise weniger Sauerstoff aufnehmen, den die Motoren für den Verbrennungsprozess brauchen. Dadurch büßen die Aggregate etwas an Leistung ein. Die verschiedenen Triebwerksmodi, die der Fahrer am Lenkrad wählen kann, werden auch darauf optimiert, diesen Leistungsverlust auszugleichen.

Der Marina Bay Circuit aus der Sicht des Fahrers

Heikki Kovalainen, Caterham F1 Team: „Singapur ist schon eine ziemlich coole Strecke. Das Rennen findet unter Flutlicht statt – das garantiert spektakuläre Fernsehbilder und Fotos. Es ist ein Stadtkurs mit sehr engen Kurven, die an Hotels und anderen Gebäuden vorbei führen. Daher sind die Durchschnittsgeschwindigkeiten natürlich geringer als bei den beiden vorangegangenen Rennen in Spa und Monza. Aus Motorensicht benötigen wir hier möglichst viel Power im unteren Drehzahlbereich, um optimal aus den engen Ecken herausbeschleunigen zu können. Außerdem ist es sehr wichtig, dass das Auto beim Anbremsen der zahlreichen Kurven stabil bleibt. An Singapur habe ich gute Erinnerungen, vor allem an das Rennen von 2010, das mit dem Auffahrunfall von Mark Webber etwas aufregender zu Ende ging, als wir es erhofft hatten. Da Malaysia nicht weit entfernt ist, ist dieser Grand Prix für uns fast ein Heimrennen. Daher wollen wir den zahlreichen Fans die nach Singapur kommen, um uns zu unterstützen, natürlich eine gute Show bieten.“

Der Marina Bay Circuit aus der Sicht des Motoren-Ingenieurs

Rémi Taffin, Leiter des Renault Sport F1 Einsatzteams: „Nach den beiden Highspeed-Rennen von Spa und Monza erwartet uns in Singapur ein aufregendes Kontrastprogramm. Der Stadtkurs ist eine der langsamsten Strecken im gesamten Rennkalender. Auch der Vollgasanteil ist mit nur 46 Prozent extrem gering. Hier kommt es also weniger auf die Höchstgeschwindigkeit an. Stattdessen konzentrieren wir uns eher darauf, dass unser RS27-V8 bei niedrigen Drehzahlen gefühlvoll auf Gaspedalbefehle reagiert und aus den zahlreichen engen Kurven gut herausbeschleunigt.

Der Benzinverbrauch ist in Singapur mit der Höchste in der gesamten Saison. Dies ist vor allem dem Stop-and-Go-Charakter dieser Rennstrecke geschuldet. Konsequenterweise starten wir daher auch mit einem sehr vollen Tank – auf kaum einem anderen Kurs sind die Fahrzeuge zu Beginn des Rennens so schwer wie hier in Singapur. Die Fahrer verändern während des Grand Prix ständig das Motormapping und das Benzingemisch. Auf diese Weise verhindern sie einerseits, dass am Ende des Rennens noch zu viel Benzin an Bord ist – was natürlich in jeder Runde einen Zeitverlust bedeutet – andererseits können sie auf diese Weise den Verbrauch so beeinlussen, dass die Kraftstoffreserve nicht zu schnell zuneige geht. Aufgrund des geringen Vollgasanteils können wir auf dem Marina Bay Street Circuit in Singapur mit einem mageren Benzingemisch fahren. Das reduziert wiederum das Gewicht am Start.

Die Reifenabnutzung ist in Singapur vergleichsweise hoch, da wir es hier mit ganz normalen Straßen zu tun haben, die mit einem sehr rauen Asphalt bedeckt sind. Insbesondere zu Beginn des Rennwochenendes mangelt es auf der Strecke noch an Reifenabrieb und damit am nötigen Grip. Die zahlreichen Kanaldeckel erschweren die Situation zusätzlich. Mithilfe des Motormappings können wir den Reifenverschleiß natürlich minimieren, indem wir für mehr Grip auf der Hinterachse sorgen und so das Heck des Fahrzeugs stabilisieren. Für unsere Partnerteams bringt das den Vorteil mit sich, dass sie größere Freiheiten bei ihrer Boxenstrategie genießen.

Wir blicken sehr zuversichtlich auf den Grand Prix von Singapur. In dieser Saison war unser RS27 auf Stadtkursen und auf Strecken mit niedrigen Durchschnittsgeschwindigkeiten stets eines der besten Triebwerke überhaupt. Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit unseren Partnerteams weitere gute Resultate einzufahren.“
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